Samstag, 29. August 2015

Boko Haram – Ursachen ihres Aufstiegs



Die Gruppe Boko Haram wurde nach der Entführung von 276 Schülerinnen im Jahr 2014 international bekannt. Die Terroranschläge dieser islamistischen Gruppe richten sich nicht nur gegen nationale Polizei- und Militärzentren oder internationale Institutionen wie UN, sondern haben auch Krankenhäuser, Schulen und sogar Moscheen zum Ziel. Seit 2011 werden auch Selbstmordattentate von Boko Haram durchgeführt. Im Jahr 2013 konnte die Gruppe 21 Bezirke im Nigerias Norden unter seiner Kontrolle bringen. Die Frage, die sich fast jeder stellt, ist: Wie kann eine so brutale und bestialische Gruppe die Bevölkerung unter seiner Kontrolle bringen und große Menschenmengen für sich gewinnen? Auf diese Frage gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Manche glauben, die Armut sei die Ursache dafür. Manch anderer glaubt, islamistische Terrorgruppen wie Boko Haram seien von Westen „produziert“ und würden durch ihn weiter unterstützt und am Leben erhalten. Bei der Erleuchtung der Ursachen der Entstehung und Zuwachs islamistischer Gruppen gibt es  aber auch Versuche, die Sache vielseitiger zu betrachten und mehrere Faktoren in Betracht zu ziehen. Das Buch „Boko Haram – Der Vormarsch des Terror-Kalifats“ (2015) von Mike Smith zählt zu diesen Versuchen.

Obwohl Mike Smith drei Hauptursachen für die Entstehung von Boko Haram verantwortlich macht, nämlich die extreme Armut der nigerianischen Bevölkerung, Korruption ihrer Machthaber und den Zerfall des nigerianischen Militärs, betont er, dass man bei dieser Frage auch Nigerias Geschichte und kulturelle Faktoren betrachten sollte. So behandelt er in seinem Buch auch die vor- und nachkoloniale Geschichte von Nigeria und liefert zudem nützliche Informationen über islamische und islamistische Bewegungen seit den 1960ern. Ich versuche, all die Faktoren, die er für die Entstehung und den Zuwachs von Boko Haram als ausschlaggebend sieht, hier kurz zusammenzufassen.

Im Jahr 1914 wurden Nord- und Südnigeria von den Briten zu einer einzigen Kolonie vereint, mit den Grenzen des heutigen Nigerias. Mike Smith sieht die Vereinigung als eines der Hauptprobleme Nigerias, da sich die beiden Teile in allen Aspekten voneinander stark unterscheiden. Das heutige Nigeria besteht aus unterschiedlichen „traditionellen Gesellschaften“ und Hunderte ethnische Gruppen. Dies erhöht das Potential von ethnischen, regionalen und religiösen Konflikten. Im Süden des Landes ist die Mehrheit der Bevölkerung christlichen Glaubens, während im Norden die meisten Einwohner muslimischen Glaubens sind. Die Erdölvorkommen des Landes befinden sich im Süden, was dazu beigetragen hat, dass es den Menschen im Süden besser geht als den im Norden Nigerias. Im Süden gibt es mehr Industrie, weniger Arbeitslosigkeit und Armut, und das Bildungsniveau ist dort höher.

Das bedeutet aber nicht, dass es dem Süden gut geht, auch dort herrscht Armut. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Briten in Nigerias Infrastruktur investiert, um den „Austausch von Menschen und Waren“ zu erleichtern. Sie bauten Straßen, Eisenbahnen und Schiffwege. Dies half Nigeria, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Aber einige Zeit nach dem Fund von Nigerias Öl in 1956 beschränkte sich das Land wirtschaftlich nur auf die Ölproduktion und andere Wirtschaftszweige wurden vollkommen vernachlässigt. Mike Smith betrachtet diesen Zustand als eine der Hauptursachen für Armut und Arbeitslosigkeit in Nigeria.

Eine andere Hauptursache für Armut in Nigeria ist nach Mike Smith die Korruption seiner Machthaber. Ein Großteil des Geldes, welches durch den Verkauf von Öl erzielt wird, fließt in die Taschen der einflussreichen Politiker und Wirtschaftsmagnaten. Obwohl das Land gewaltige Summen durch den Verkauf von Öl einnimmt, leben die meisten Menschen in Armut und viele von ihnen haben sogar keinen Zugang zu Elektrizität. Nigeria hat auch im Ölsektor nicht richtig investiert und muss den größten Teil seines Treibstoffs bzw. Benzins einführen. Mike Smith macht auf einige Fälle von Diebstahl durch nigerianischen Führer aufmerksam, die zeigen sollen, wie korrupt das Land ist. In den 1990-ern hatte zum Beispiel der Militärdiktator Sani Abacha mehrere hundert Millionen Dollar von der Zentralbank des Landes gestohlen. Oder James Ibori, der vormalige Gouverneur des Delta-Bundesstaates hatte 250 Millionen unterschlagen. Um sich aus den gegen ihn laufenden Ermittlungen freizukaufen, hatte er in einem Beutel 15 Millionen Dollar gestopft, die er an die zuständigen Personen weitergeben wollte. Dabei wurde er aber erwischt.

Laut Schätzungen beträgt der Diebstahl an nigerianischem Öl durch hochrangige Militärs und Politiker 6 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Summe der gestohlenen bzw. verschwendeten Gelder seit Nigerias Unabhängigkeit im 1960 bis 2006 wird auf über 360 Milliarden Dollar geschätzt. Während dessen lebt 63% der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag. Diese Zustände haben dazu geführt, dass die meisten Nigerianer glauben, Demokratie sei ein System, das korrupte Politiker zu Reichtümern verhilft und den Rest der Bevölkerung in Armut belässt, so Mike Smith. Er ist der Ansicht, dass hohe Arbeitslosigkeit, politische Korruption und extreme Armut im Norden Nigerias den Nährboden für islamische Extremismus bilden.

Aber Armut und Korruption allein können nicht die Ursachen von Zuwachs islamischer Extremismus sein. Mike Smith weist darauf hin, dass im Norden Nigerias, wo die meisten Einwohner Muslime sind und wo Boko Haram entstanden ist, islamische Strenggläubigkeit tief verwurzelt ist. Zudem kommt, dass dort noch feudale Strukturen herrschen. Die Emire, eine Art muslimische Herrscher, haben zwar im heutigen Nigeria offiziell keine Machtbefugnisse, aber sie beeinflussen weiterhin stark politische Entscheidungen, zum Beispiel bei der Ernennung von Funktionsträgern oder bei der Verteilung staatlicher Gelder. Der Sultan von Sokoto gilt auch heute noch als höchste islamische Autorität in Nigeria. Auch er übt wie die Emire großen Einfluss auf die Politik des Landes.

Islamistische Bewegungen sind keine Neuheit in Nigeria. In Mike Smiths Buch ist von einer islamischen „Reformbewegung“ namens „Gesellschaft zur Beseitigung von Ketzerei und Errichtung der Sunna“ die Rede, die in den 1960-ern und 1970-ern die Sympathie vieler gebildeter Muslime genoss. In den 1970-er und 1980-er Jahren gab es in Nigeria eine islamistische Bewegung unter der Führung von Muhammadu Marwa, die mehrere Unruhen verursachte, bei denen über 4000 Menschen ums Leben kamen. Mike Smith schreibt, diese Bewegung „bildete den Auftakt zum späteren Aufstieg von Boko Haram“. Zudem kommt, dass sich viele Nordnigerianer seit den späten 1970-ern für die Islamisierung der Gesetze einsetzten. Dort gab es bereits örtliche Scharia-Gerichte, aber der Norden wollte auch ein Scharia-Revisionsgericht für ganz Nigeria schaffen. Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Christen und Muslimen. Im Jahr 1999 verlangten erneut die nördlichen Bundesstaaten, dass sich das Strafrecht dem Scharia-Recht anpasst. In vielen Teilen Nordnigerias herrscht heute das Scharia-Recht, aber Mike Smith weist darauf hin, dass es nicht immer umgesetzt wird. Zum Beispiel seien viele wegen Ehebruch zum Tode durch Steinigung verurteilt worden, aber „anscheinend“ seien diese Urteile später abgemildert oder widerrufen worden. Im Jahr 2000 gab es mindestens zwei Fälle von Amputation, einmal wegen Kuhdiebstahls und einmal wegen Fahrraddiebstahls.

„Boko Haram“ bedeutet „Westliche Bildung ist verboten“. Dieser Name „wurde der Gruppe von außen gegeben“, da eines ihrer Hauptziele das Verbot moderner bzw. westlicher Bildung ist. Die Gruppe selbst nennt sich „Menschen, die sich der Verbreitung der Lehren des Propheten und dem Dschihad verpflichtet fühlen“. Eine andere Ursache für den Aufstieg von Boko Haram sei die historisch bedingte Unbildung breiter Massen in Nordnigeria, so Mike Smith. Im Norden wurden einige gute Schulen von den Briten aufgebaut, aber man ließ die Aktivität christlicher Missionare nicht zu, welche das westliche Bildungswesen im gesamten Süden verbreiteten. Im Norden herrschte großes Misstrauen gegenüber westlicher Bildung. Für die hohe Unbildung im Norden sei aber auch die Armut verantwortlich. Mike Smith schreibt, dass vielen Familien das Geld fehlte, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

In der Stadt Chibok, wo die 276 Schülerinnen von Boko Haram entführt wurden, hat kein einziges Mädchen bis zu den 1960-er Jahren die Schule besucht. Der Zustand des Bildungswesens im Norden Nigerias ist katastrophal, besonders für Mädchen. Im Bundesstaat Borno zum Beispiel können nur circa ein Zehntel aller Mädchen über sechs Jahre lesen und schreiben. Der nigerianische Durchschnitt für die Alphabetisierung der Frauen liegt bei 47,7%. Im Süden liegt dieser Wert weit höher, zum Beispiel in der Stadt Lagos bei 92%. Einige in dem Buch beschriebene Fälle lassen einen vermuten, dass das Misstrauen gegenüber westlicher Bildung noch immer im Norden Nigerias weitverbreitet ist. Zum Beispiel ist dort das Gerücht geläufig, die Polio-Impfung sei eine Waffe des Westens gegen Muslime. Im Jahr 2013 wurden zwei Kliniken, die sich für die Polio-Impfungen vorbereiteten, von mehreren bewaffneten Personen beschossen. Dabei kamen zehn Menschen ums Leben. Bis heute ist  nicht klar, ob der Terror-Anschlag Boko Haram zuzuschreiben ist oder nicht.

Einige im Buch beschriebene Fälle zeigen, dass die nigerianische Gesellschaft extrem gewaltbereit ist und dass dies historische Wurzeln hat. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Großbritannien und alle anderen europäischen Staaten die Sklaverei abgeschafft und sie als verboten erklärt. Nigerianische Herrscher waren aber gegen die Abschaffung der Sklaverei und dies führte zu blutigen Kämpfen zwischen den Nigerianern und den Briten, wobei sich der schlimmste Fall sich im Jahr 1897 ereignete, schreibt Mike Smith. In jenem Jahr forderte die britische Regierung, dass auch die Tradition, Menschenopfer zu bringen, in Nigeria abgeschafft werden musste.  Das heißt, in Nigeria wurde bis 1897 diese bestialische Tradition praktiziert, und erst nach heftigen Kämpfen und der Niederlage der nigerianischen Streitmacht haben die Nigerianer es widerwillig akzeptiert, die schreckliche Tradition von Menschenopfer abzuschaffen.

Obwohl Mike Smith sich in seinem Buch auf die Brutalität der nigerianischen Polizei und des Militärs konzentriert und dies als eine weitere Ursache für die Unzufriedenheit der Bevölkerung und den Aufstieg von Boko Haram sieht, beschreibt er einige Fälle, die auf die extreme Gewaltbereitschaft der nigerianischen Gesellschaft hindeuten. Einer dieser Fälle ereignete sich im Jahr 2014, als ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Homosexualität unter Strafe stellt. Danach haben Scharia-Wächter im Norden angebliche Homosexuelle gejagt und sie öffentlich ausgepeitscht. Die Zuschauermenge gab sich aber mit der Auspeitschung nicht zufrieden und wollte, dass sie gesteinigt werden. Wie es scheint, ist aber die Gewalt nicht nur unter den Muslimen weitverbreitet, sondern auch unter den Christen Nigerias. Mike Smith berichtet von den blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Muslimen und Christen des Landes, die sich nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2011 ereigneten. In dem Bundesstaat Kaduna, der in Zentralnigeria liegt,  haben Christen Häuser von Muslimen niedergebrannt, sie erschossen oder mit Macheten zu Tode gehackt. Kein Wunder, dass die Polizei und die Militärs des Landes extrem brutal sind und Folter, Vergewaltigung und Mord an ihrer Tagesordnung stehen. Der Autor weist auf einen Fall hin, in dem ein Gefangener mitgesehen hat, «wie Soldaten versuchten, einen Häftling mit einer Rasierklinge zu 'häuten'». Ein Großteil des Buchs beschäftigt sich mit den Gewalttaten der Polizei und Militärs und ihrer Korruption.

Viele glauben, Boko Haram sei kurz vor der Entführung der 276 Schülerinnen entstanden. Die Anfänge von Boko Haram gehen aber auf das Jahr 2003 zurück. Mike Smith weist darauf hin, dass die Gruppe noch eine nigerianische ist und keine multinationale, obwohl sie Beziehungen zu islamistischen Terroristen aus anderen Ländern wie Mali, Somalia, Kamerun, Tschad und Niger hat und einige ihrer Kämpfer dort von den Dschihadisten ausgebildet worden sind. Wie der Name des Buches verrät, beschäftigt sich der Autor überwiegend mit der Geschichte von Boko Haram und seine terroristischen Aktivitäten. Aber er vermittelt auch ein umfassendes Bild von der nigerianischen Gesellschaft und den Ursachen für die Entstehung von Boko Haram, das einem auch dabei hilft, das Problem islamistischer Extremismus außerhalb Nigerias Grenzen mit anderen Augen zu betrachten. Das Buch hat 288 Seiten.
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Montag, 24. August 2015

Sklaverei in islamischen Ländern



The Economist hat einen Beitrag über die Sklaverei und Knechtschaft in islamischen Ländern veröffentlicht. Der englische Titel lautet: “The persistence of history”. Eine kurze Zusammenfassung auf Deutsch, die heute auf der Webseite perlentaucher zu lesen war:

Die Versklavung religiöser Minderheiten, und besonders ihrer Frauen, durch die IS-Milizen kann sich nicht nur auf den Koran, sondern auf eine jahrhundertealte Praxis in der islamischen Welt berufen, die erst unter der Kolonisierung gestoppt wurde, schreibt der Economist: "Fast hundert Jahre lang war der Nahe Osten zumindest auf dem Papier frei von Sklaven. 'Menschen sind frei geboren, und niemand hat das Recht, sie zu versklaven, erniedrigen, unterdrücken oder auszubeuten', verlangte die Kairoer Menschenrechtserklärung von 1990. Frühe dschihadistische Gruppen folgten diesem Trend und stellten sich als Befreiungsbewegungen dar. Aber selbst wenn Sklaverei verurteilt wird, machen Beobachter auf die andauernde Knechtschaft aufmerksam. Der Global Slavery Index (GSI), dessen Zahlen von einer Australischen NGO und der Hull University erstellt werden, hält fest, dass in 14 Staaten über ein Prozent der Bevölkerung versklavt sind, die Mehrheit davon islamische Länder."

Dienstag, 11. August 2015

Zusammenarbeit der brasilianischen Polizei mit der Islamischen Republik Iran



Der Chef der iranischen Polizeibehörde, General Hossein Ashtari, hat sich dazu bereit erklärt, Brasilien bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro zu unterschützen. Bei einem Treffen mit dem brasilianischen Botschafter, das am Montag in Teheran stattfand, wies er auf die „gute“ Zusammenarbeit beider Länder während der FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2014 hin. Damals hatte die iranische Polizei in Kooperation mit Interpol die brasilianische Polizei unterstützt.

Ferner betonte der iranische Polizeichef, dass der Iran in der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität viele Erfolge vorweisen könne, und dass die Islamische Republik auch auf diesen Gebieten der brasilianischen Polizei Hilfe leisten könne.


Vollständiger Bericht in englischer Sprache auf der iranischen Webseite „Tasnim“, die als  regimenah gilt:
http://www.tasnimnews.com/english/Home/Single/825652
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