Wir befinden
uns in einer Epoche, in der Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens
zunehmend im Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Sogar die Kirche und ihre
Würdenträger können sich dieser neuen Art der Kontrolle nicht länger entziehen.
Die einzige Gruppe aber, die sich vehement gegen die Kontrolle und Kritik der
Öffentlichkeit widersetzt und sich über diese empört, sind die Künstler. Der
Fall Roman Polanski, gegen den 2010 in den USA ein Verfahren wegen
Vergewaltigung einer 13-Jährigen eröffnet wurde, liefert ein sichtbares
Beispiel hierfür.
Viele Künstler
haben in offenen Briefen oder in Interviews gegen Polanskis Prozess lautstark
protestiert, nicht weil sie in dem Verfahren rechtliche Unregelmäßigkeiten
erkannt hätten, nein, sondern weil die Justiz und die Öffentlichkeit sich
erlaubt hatten, einen prominenten Filmemacher zur Rechenschaft zu ziehen.
Einige deutschsprachige Autoren gingen in der (indirekten) Verteidigung von
Roman Polanski und der Verharmlosung seiner Straftat sogar so weit, dass sie
behaupteten, der sexuelle Verkehr zwischen Künstlern und minderjährigen
„Knaben“ und Mädchen sei nichts Besonderes und schon immer weit verbreitet
gewesen.
Derselben
Problematik begegnen wir im Fall Christian Kracht. Georg Diez hat in einem
Artikel im Spiegel Krachts neuerschienen Roman „Imperium“ analysiert und
versucht, Krachts rechtsextremen Einstellungen, welche in seinem Roman
widerspiegelt werden, anhand des Briefwechsels zwischen dem Autor und David
Woodward zu belegen. Die Briefe, auf die sich Diez beruft, sind dem Buch „Five
Years: Briefwechsel 2004-2009“ entnommen. Und wieder sind wir mit einer
aufgebrachten Kunstszene konfrontiert, die nicht zulassen will, dass auch
Schriftsteller wegen ihrer politisch unkorrekten Einstellungen zur
Verantwortung gezogen werden.
Aus Protest
wird ein offener Brief von 17 Schriftstellern an den Spiegel veröffentlicht, in
dem Diez der Denunziation bezichtigt wird. Einer der Unterzeichner, Feridun Zaimoglu,
gibt in seinem Interview mit dem Börsenblatt zu, er habe Krachts Roman nicht
gelesen und erklärt, trotzdem fände er Diez' Kritik „widerlich“ und
„unanständig“. Es scheint, als habe er auch Diez' Artikel nicht (genau genug)
gelesen, da er behauptet, Diez selbst habe geschrieben, die „zwielichtigen“
Einstellungen Krachts ließen sich aus dem Roman nicht ableiten. Und das, obwohl
Diez nicht wenige Ausschnitte aus dem Buch zitiert, um zu zeigen, dass Krachts
rechtsextreme Weltsicht auch in „Imperium“ zum Ausdruck kommt.
Die Behauptung,
ein Roman widerspiegele nicht immer die Weltsicht des Autors ist falsch und
irreführend. Es ist oft nicht einfach, aber trotzdem möglich, zwischen dem
Autor, seinen Romanfiguren und dem Erzähler zu unterscheiden. Viele Kritiker,
die sich zu Diez' Artikel geäußert haben, finden seine „Methode“ inkorrekt,
Krachts Roman mit den von dem Schriftsteller selbst veröffentlichten Briefen in
Verbindung zu bringen. Diese Methode ist vielleicht in Kritiken zu Werken noch
lebender Schriftsteller ein Tabu, aber in den renommierten Kritiken zu Werken
verstorbener Autoren sehr üblich. Der Versuch, anhand der Äußerungen und
Einstellungen des Autors, der Ereignisse in seinem Leben und sogar seines
psychischen Zustands zu der Zeit des Schöpfens sein Werk zu analysieren, ist
nichts Neues.
Sowie der
Literatur keine von allen Seiten akzeptierten Grenzen gesetzt sind, kann auch
die Literaturkritik nicht auf bestimmte Formen beschränkt werden. Es kommt
nicht selten vor, dass ein Roman auf bestimmte inhaltliche Aspekte untersucht
wird- wie z.B. Frauenfeindlichkeit in Werken von X. Diez hat auch nichts
anderes getan, als Krachts Roman unter dem Aspekt Rechtsextremismus zu
untersuchen und seine Interpretationen auf Krachts Äußerungen zu stützen.
Liegt Diez mit
seiner Behauptung, „Imperium“ zeuge von Krachts rassistischem, „antimodernem,
demokratiefeindlichem, totalitärem Denken“, falsch? Gleich am Anfang des Romans
wird dem Leser bewusst, dass der Erzähler, von dem sich Kracht in keiner Weise
distanziert, der „Rassenzugehörigkeit“ und den physikalischen Merkmalen wie der
Farbe der Haut, Haare, Zähne und Zahnfleisch eine, man könnte fast sagen,
krankhafte Beachtung schenkt. Er benutzt bedenkenlos Ausdrücke wie Kanaken,
Wilde und Neger und macht sich über das Aussehen mancher Fremden lustig. An
einigen Stellen erinnert seine Sprache an die Rassenhygiene: „Engelhardt sah in
das knochenweiße Gebiß, welches in einem kerngesunden, rosaroten Zahnfleisch
steckte, und erschauerte innerlich vor Wohligkeit“.
Auf den ersten
Seiten des Romans macht Kracht den Leser darauf aufmerksam, dass es zwischen
seiner Hauptfigur, August Engelhardt, und einem „späteren deutschen Romantiker
und Vegetarier, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre“,
nämlich Hitler, durchaus beabsichtigte Parallelen gibt. Nach diesem direkten
Engelhardt-Hitler-Vergleich, scheint die sofort folgende Passage über die
„Eliminierung“ von Nahrungsmitteln durch Engelhardt und die Weiterverarbeitung
von verschiedenen Kokosnussteilen zu Fett, Öl, Löffeln, Knöpfen, Matten und
schließlich das Verbrennen der Schale
als ein böses Spiel mit den Symbolen einer bösen Zeit.
Die Deutschen
erscheinen in „Imperium“ allen anderen Nationen und Völkern überlegen. Allen
anderen Europäern begegnen wir in dem Roman fast nur in betrunkenem Zustand und
Aggressionen ausübend. Sie sind kampf- und kriegslustig und ihre Staaten
stellen eine Bedrohung für Deutschland dar. Die Deutschen erscheinen in dem
Buch als das zivilisierteste und menschenfreundlichste Volk überhaupt: „Gewiß,
allzuviel wäre ihm bei seiner Entdeckung nicht passiert, schließlich war es ein
deutsches Schiff, aber es kam in jenen Zeiten vor, daß die Bootsbesatzungen
anderer Nationen nicht besonders zimperlich mit blinden Passagieren umgingen –
sowohl Franzosen, Russen als auch Japaner warfen die Unglücklichen kurzerhand
über Bord“.
Die Hauptfigur
lehnt es anfangs strikt ab, „über Menschen aufgrund ihrer Rasse zu urteilen“.
Dafür gibt es auch gute Gründe. Wie in dem Buch verdeutlicht wird, können auch,
um bei Krachts Betrachtungsweise zu bleiben, unter höheren Rassen minderwertige
Kreaturen wie der deutsche, schwule Vergewaltiger, Heinrich Aueckens, zu finden
sein, genauso wie unter niederen Rassen treue Diener und fleißige Arbeiter zu
finden sind. Dass der einzige Schwule in dem Roman, sich als ein Vergewaltiger
herausstellt, zeugt von Krachts Abneigung Homosexuellen gegenüber.
Engelhardt
scheitert am Ende - wie Hitler. Nicht weil er im Unrecht ist, sondern weil er
weltfremd ist und nicht mit der Zeit gehen kann. Die Amerikaner gehen als
Sieger hervor und bauen ihr „Imperium“ und ihre Weltherrschaft aus. Deutschland
kann „seinen rechtmäßigen Ehren- und Vorsitzplatz an der Weltentischrunde“
nicht einnehmen. Obwohl die USA und Nazi-Deutschland sich als Feinde
gegenüberstanden, gibt es keinen großen Unterschied zwischen ihnen, denn „es
zerfleischt sich bekanntlich niemand so ausführlich wie Menschen, deren Ideen
ähnlich sind“. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist, dass nach dem 2.
Weltkrieg die USA als Sieger und Deutschland als Besiegter dastanden. Und die
Sieger sind es, die die Geschichtsschreibung formen. Das ist die Hauptbotschaft
von „Imperium“.
(März 2012)
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