Sonntag, 5. Juli 2015

Aggression als eine Krankheit?



Ich lese zurzeit das Buch „The Better Angels of Our Nature – Why violence has declined“ von Steven Pinker. Ein interessantes und sehr informatives Buch, das die These vertritt, Gewalt habe im Laufe der Menschheitsgeschichte ständig abgenommen. Ich werde bestimmt noch ein paar Wochen - wenn nicht Monate - dafür brauchen, die 700 Seiten zu

Nicht die Statistiken oder die historischen Fakten machen das Buch interessant und lesenswert, sondern Steven Pinkers Analyse und seine Aneinanderreihung der Fakten, die es ihm ermöglichen, zu objektiven Schlussfolgerungen zu gelangen. Seine einfache Sprache macht das Werk auch für Laien verständlich, obwohl er sehr komplexe Sachverhalte aus vielen Bereichen, wie z.B. Soziologie, Kriminologie, Psychologie, Politik und internationale Beziehungen behandelt.

Im dritten Kapitel „Der Zivilisationsprozess“ (The Civilizing Process) liefert er wertvolle Fakten über die Abnahme der Gewalt in West-Europa, erläutert die Zustände und Zusammenhänge, die dazu geführt haben und stellt einige „Dogmen“ (dogmas) über die Verbreitung der Gewalt unter bestimmten Bevölkerungsgruppen in Frage, z.B.
- dass die Gewalt wegen mangelhaften Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen in Erscheinung tritt;
- dass die Ursache der Gewalt in den übertriebenen Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen liegt;
- dass Gewaltanwendung eine Art Krankheit sei;
- dass Gewalt eine Folge der Armut sei;
- dass die Wut gegen die gesellschaftlichen Missstände in Form von Gewalt zum Ausdruck kommt; etc.

Pinkers Analyse ist ziemlich gründlich und folgerichtig. Näheres dazu werde ich nicht verraten, um dem Leser den „Spaß“ beim Lesen seines Buchs nicht zu verderben. Eines will ich aber doch hier loswerden. Pinker widerspricht die These, Gewalt sei eine Art Krankheit, mit der Begründung, dass eine kranke Person unter ihrer Krankheit leidet, eine gewalttätige Person würde aber nicht wegen ihrer Gewalttätigkeit leiden. Er argumentiert, dass die meisten gewalttätigen Personen darauf beharren, psychisch gesund zu sein und kein Leiden wegen ihren Gewalttaten zu spüren.

Ich weiß nicht, ob Gewalttätigkeit eine Art Krankheit ist oder nicht. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich aber, dass viele gewalttätige Personen unter ihrer Gewalttätigkeit leiden. Erstens haben die meisten dieser Personen starke Schuldgefühle oder entwickeln diese mit der Zeit. Auch wenn in bestimmten geschichtlichen Perioden Tötung, physische und psychische Gewalt „normal“ waren, haben die mir bekannten Religionen Gewalt als eine Sünde missbilligt (vielleicht „nicht immer, aber immer öfter“). Selbstjustiz würde von keiner mir bekannten Religion je gepredigt.

Zweitens leiden die meisten aggressiven Personen wegen ihrer Aggressivität sowohl psychisch als auch physisch sehr stark. Wenn man andere mit seinen physischen oder psychischen Attacken bombardiert, wird man auch selbst zurückbombardiert – physisch oder psychisch; früher oder später. Auch medizinisch gesehen, hat die Aggression viele physische Nebenwirkungen, wie z.B. hoher Blutdruck und viele Krankheiten, die durch den starken Drogenkonsum (Alkohol, Zigaretten, Opiate, Beruhigungstabletten, etc.) entstehen, den viele aggressive Personen zur Beruhigung brauchen.

Wenn man Krankheit als einen leidvollen Zustand des „Kranken“ definiert, dann werden Aggression und Gewalttätigkeit auf jeden Fall darunter fallen.


August 2013
 .

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