Sonntag, 5. Juli 2015

Ist Irans Herrschaftssystem reformfähig?



Nicht nur im Ausland, auch im Iran selbst glauben viele, die Islamische Republik Iran sei reformwillig und reformfähig. Unzählige Artikel, Bücher, Dokumentar- und Spielfilme versuchen einem weiszumachen, in den letzten 34 Jahren seit der islamischen Revolution habe sich vieles zum Positiven gewendet und die Republik sei auf dem Reformweg. Hier einige Fakten, die zeigen, wie unsinnig solche Behauptungen sind:


Frauen

Was den islamischen „Kleidungsvorschriften“ für Frauen angeht, darunter die Verschleierung (Hijab), ist man seit Jahren weniger streng. Trotzdem läuft der Propagandakrieg gegen Frauen, die sich in der Öffentlichkeit nicht „islamisch“ genug zeigen, massiv weiter. Überall hängen große Plakate, die Frauen davor erschrecken sollen, sich den westlichen Kleidungsstil anzueignen. Man gönnt ihnen zwar kleine „Pausen“, aber keine Frau kann sich im Iran sicher sein, dass sie bald – vielleicht heute, vielleicht in ein paar Monaten – wegen ihrer Kleidung, Frisur und Schminke nicht verhaftet, gepeitscht und vergewaltigt wird.

Zwar gibt es mittlerweile auch dort Personen oder Organisationen, die für Frauenrechte kämpfen, aber die meisten Frauenrechtler müssen sich um ihr Leben fürchten. Sogar moderate Aktivisten wie die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die sich im Iran für „islamische Menschenrechte“ (als eine Alternative zu den UN- Menschenrechten) stark gemacht hatte, werden nicht geduldet und sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen.

Zwar sind die Kopftücher bunter geworden und man darf ein paar Zentimeter Haare zeigen, aber die frauenfeindlichen Gesetze haben sich nicht geändert und sind zum Teil noch strenger geworden - z.B. ist die rechtliche Position der Frau in der Familie weiter geschwächt worden. Als weitere Beispiele seien die Geschlechtertrennung in den Bussen und Universitäten und das Studienverbot von einigen Fächern für Frauen zu nennen, in den es bis vor kurzem keine geschlechtsspezifischen Beschränkungen gab. Das letztere ist damit begründet worden, dass der Frauenanteil in bestimmten Studienfächer zu hoch sei. Interessanterweise ist das Studieren von einigen Studienfächer für Frauen grundsätzlich verboten.


Junge Menschen

Personen unter 25 Jahren machen einen Großteil der iranischen Bevölkerung aus. Das Regime hat ziemlich früh erkannt, es müsse junge Iraner ruhigstellen, um zu überleben. Es scheint, junge Iraner hätten heutzutage mehr Auswahl, was Musik, Filme, TV-Shows und Mode angeht. Die Zensur ist aber genau so extrem wie früher und sie dürfen nicht das lesen, hören und schauen, was sie wollen. Die Zensur hat sich nicht gemindert, sie hat sich verlagert. Erst vor kurzem wurde gegen den in Deutschland lebenden Rapper, Shahin Najafi, ein Tötungsbefehl (Fatwa) ausgesprochen.

Ein Studium an der Universität ist nur dann möglich, wenn man politisch als konform eingestuft wird. Viele Studenten dürfen wegen ihren politischen Aktivitäten ihr Studium für eine längere Zeit nicht fortsetzen oder müssen es zwangsweise ganz abbrechen.

Nicht nur junge Frauen stehen wegen ihrem westlichen Modegeschmack in der Schusslinie des Regimes. Auch junge Männer, die ihre Augenbrauen zupfen oder sich nach der westlichen Mode kleiden und stylen, werden gnadenlos angegriffen. Dabei spielt ein junger Mullah, der sich „Wissenschaftler“ (Daneshmand) nennt, eine große Rolle. In seiner Reden, die bewusst der „Stand Up Comedy“ ähneln, greift er „Männer, die zu Hühnern geworden sind“ an und verteidigt „islamische“ Vorstellungen von Männlichkeit.

Zu all diesen Belastungen kommen noch die ständig wachsende Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot hinzu. Die Mehrheit der jungen Iraner sieht nur einen Ausweg aus diesem Schlamassel: Flucht ins Ausland.


Politische Freiheiten

Es scheint, die Iraner würden heutzutage mehr politische Freiheiten genießen als früher. Es scheint, viele hätten die Freiheit, sich kritisch zu äußern oder gar in der Opposition aktiv zu werden. In Wirklichkeit können sogar die sogenannten „Reformisten“ (wie Soroush oder Ganji) im Iran nicht überleben und müssen das Land verlassen. Politische Aktivisten, die als eine Gefahr eingestuft werden, sind immer noch der Verhaftung, Folter, Vergewaltigung und Hinrichtung ausgesetzt. Oft werden auch ihre Familienangehörigen als „Geisel“ genommen. Iran hat immer noch eine der höchsten Hinrichtungsraten in der Welt.

Ein Beispiel dafür, wie brutal das Regime mit seinen Gegnern umgeht, ist die Niederschlagung der Demonstrationen im Jahr 2009. Junge Menschen, die keinen System-Sturz, sondern nur Reformen wollten, waren vor den Augen der Weltöffentlichkeit niedergeschossen und in den Kerkern bis zu Tode gefoltert und vergewaltigt worden.


Soziale Sicherheit

Auch die „nicht-staatliche“ Kriminalitätsrate ist seit der Revolution ständig gewachsen. Motorradfahrer überfallen am helllichten Tag Fußgänger, die eine Tasche mit sich tragen und ziehen solange an der Tasche – während sie Gas geben – bis sie kriegen, was sie wollen. Vor allem alte Personen fühlen sich auf der Straße nicht mehr sicher.

Obwohl reiche Personen und Familien ihr Eigentum und sich selbst theoretisch besser schützen können, sind sie nicht weniger in Gefahr. Einerseits müssen sie hohe Bestechungsgelder an die staatlich organisierten Mafia zahlen, andererseits stehen sie in der Schusslinie der noch brutaleren „privaten“ Mafia.

Die medizinische Versorgung des Landes ist katastrophal und große Teile der Bevölkerung sind davon ausgeschlossen. Staatliche Krankenhäuser nehmen nur dann Patienten auf, wenn sie bereits im Voraus zahlen. Nicht selten sterben Patienten direkt vor dem Krankenhauseingang. Vor einem Jahr haben iranische Webseiten Fotos von zwei Patienten veröffentlicht, die wegen starken Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert worden waren. Nach der Einlieferung dieser zwei Personen, hatten die Familienangehörigen das Krankenhaus verlassen, um Geld zu holen. Als sie nach ein paar Stunden nicht auftauchten, war ein Krankenwagen mit den zwei Patienten einfach auf die Autobahn gefahren, um sie dort loszuwerden. Das zuständige Personal dachte wohl, irgendein reicher Typ würde diese Szene sehen und sich um die armen Kerle kümmern. Stattdessen hat ein Autofahrer mit seinem Handy von der Aktion Fotos gemacht und sie im Internet weiterverbreitet. Da er/sie auch Fotos von dem Nummernschild des Krankenwagens geschossen hatte, hat man herausgefunden, um welches Krankenhaus es sich handelte. Dass daraus kein großer Skandal entstand, zeigt, wie wirksam die iranische Herrschaftsmaschinerie agiert.

Dies zeigt sich auch bei einem anderen Phänomen, nämlich das Verweigern von Lohnauszahlungen an Arbeitern. Schon seit Khatamis Zeiten wird einem Großteil der Arbeiter 6, 12, 18 Monate oder länger kein Lohn ausgezahlt. Wie und wovon diese Menschen in einem Land leben, in dem „Sozialhilfe“ ein Fremdwort ist, kann ich mir schwer vorstellen.


Außenpolitik

Es scheint, während der Rafsanjani- und Khatami-Herrschaft hätten sich die politischen Beziehungen Irans zu anderen Staaten, darunter den westlichen, gebessert. In Wirklichkeit hat aber das iranische Regime auch zu jenen Zeiten ihre terroristischen und destabilisierenden Aktivitäten in anderen Ländern fortgesetzt. Es scheint, Khatami hätte versucht, die politischen Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen zu normalisieren. In Wirklichkeit hat er sich aber als den Hauptvertreter der islamischen Welt ausgegeben und mit seiner Forderung nach einem „Dialog der Zivilisationen“ die Schreckensherrschaft des iranischen Regimes als eine Errungenschaft der „iranisch-islamischen Zivilisation“ präsentiert.

Der Islam dient dem Iran als eine Waffe, mit der er sich auf der Weltbühne Macht verschaffen will. Kein Wunder, dass das iranische Regime sogar zu seinen muslimischen Nachbarländern keine friedlichen Beziehungen ausbauen konnte und sie immer zu destabilisieren versucht. Kommunisten und Sozialisten, die bekanntlich mit Religion nichts am Hut haben, betrachtet aber das islamische Regime als Verbündete und pflegt außerordentlich freundschaftliche Beziehungen zu den Staaten, in den diese herrschen bzw. herrschten (China, Russland, Venezuela, Nikaragua, Kuba, etc.).


Wahlen

Dass die Wahlen im Iran nichts bewirken, müsste bis jetzt eigentlich jeder kapiert haben. Der Gegenteil ist aber der Fall und der gleiche Zirkus geht immer energetischer und vielversprechender weiter. Jedes Mal werden die Präsidentschaftswahlen der iranischen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit als ein entscheidender Kampf zwischen Reformbefürwortern und Hardlinern präsentiert. Auch mit der darauffolgenden Enttäuschung weiß das Regime erfolgreich umzugehen und schafft es jedes Mal, die Massen bis zu den nächsten Wahlen zu beruhigen.

Traurig, aber wahr: Die Hoffnung stirbt nie, man selbst aber meistens zu früh!


September 2013
 .

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen