Sonntag, 19. Juli 2015

Die Angst des Feminismus vor dem Verlust der Weiblichkeit



Da der Feminismus selbst viel zum Verblassen der Weiblichkeit (und Männlichkeit) beigetragen hat, klingt es vielleicht komisch, zu behaupten, Feminismus habe Angst vor dem Verfall der Weiblichkeit. Feministen waren die Ersten, die die Erkenntnis öffentlich kundtaten, man werde nicht als Frau oder Mann geboren, sondern zu Frau oder Mann erzogen. Die ganze Gender-Theorie, die die Natürlichkeit von Geschlechterrollen in Frage stellt, ist eine Errungenschaft des Feminismus.

Bevor ich zu meiner „komischen“ Behauptung komme, werde ich zuerst einige „Fachbegriffe“ kurz erläutern. Die Gender-Theorie unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. sex) und der Geschlechtsidentität „Gender“, wobei das Wort aus dem Englischen übernommen worden ist. Während das biologische Geschlecht nur die körperlichen Merkmale eines Geschlechts beschreibt, beschreibt Gender jene Eigenschaften, die unter den Begriffen „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet werden. Der Gender-Theorie zufolge sind „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ keine naturgegebene Phänomene, sondern soziale Produkte. Deswegen existierten in verschiedenen Gesellschaften und zu verschiedenen Zeiten verschiedene Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Diese Vorstellungen sind es, die unser Denken, unsere Gefühle und unser Verhalten als Frau oder Mann bestimmen oder beeinflussen. Dies wird in dem oft zitierten Satz von Simone de Beauvoir „man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ kurz und präzise ausgedruckt.

Es wird oft behauptet, Männer würden unter dem Verblassen traditioneller Geschlechterrollen leiden und Frauen würden davon profitieren. In Wirklichkeit ist das Verschwinden der alten Geschlechterordnung für beide Geschlechter mit Vor- und Nachteilen verbunden. Auch Frauen „leiden“ unter dem Verlust ihrer traditionellen Rollen und „Weiblichkeit“. Und da der Feminismus sich fast ausschließlich für die „Rechte“ der Frau einsetzt, wird der Verlust der Weiblichkeit von ihm als eine Bedrohung empfunden: In der heutigen Gesellschaft, die auf Individualismus und individuelle Freiheiten basiert, können sich Männer in vielen Bereichen leichter bewegen. Da sie auch vorher mehr individuelle Rechte besaßen, profitieren sie heute mehr von der Individualismus. Alte Vorstellungen von Männlichkeit sind mehr im Einklang mit dem Individualismus als alte Vorstellungen von der Weiblichkeit, die die Rolle der Frau in Hingabe und Fürsorge für Andere (als Tochter, Ehefrau, Mutter, Großmutter) beschränkten und ihren persönlichen Interessen keinen Raum ließen. Sehr deutlich wird dies an dem Fall sexueller Freiheiten, wovon Männer heute mehr profitieren als Frauen, da auch unter der alten Geschlechterordnung Männer viel mehr sexuelle Freiheiten besaßen als Frauen. Auch an dem Fall individueller Unabhängigkeit kann man deutlich beobachten, dass Frauen es schwerer haben, ein unabhängiges Leben zu führen als Männer. Von Männern hat man auch früher verlangt, sich auf die eigenen Beine zu stellen und für sich selbst und ihrer Familie zu sorgen.

Frauen haben heute viele Rechte und Lebensperspektiven, von denen sie nicht richtig Gebrauch machen können, da sie sich von ihren traditionellen Rollen nicht gänzlich verabschiedet haben. Trotzdem profitieren auch sie von der neuen Gesellschaftsordnung enorm und ihre Lage hat sich überaus verbessert. Feminismus hatte einst eine befreiende Wirkung auf die Frau, aber spätestens seit den 1970-ern beharrt er immer mehr auf Weiblichkeit und ist nicht bereit, mit der Zeit zu gehen und das „Weibliche“ mit dem „Menschlichen“ zu tauschen. Für die meisten Feministen ist die Weiblichkeit mit nur einigen negativen und vielen positiven Eigenschaften verbunden. Liebe, Fürsorglichkeit, Bescheidenheit und andere positive Eigenschaften sind Feministen zufolge alle „weiblich“. Aber wenn Feministen von Männlichkeit sprechen, wird alles, was „männlich“ ist, als negativ und destruktiv abgetan.

Der Feminismus befindet sich in einem Konflikt mit sich selbst. Auf der einen Seite stellt er traditionelle Geschlechterrollen in Frage, auf der anderen Seite vergöttlicht er die Weiblichkeit. Einerseits fordert er die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, andererseits bevorzugt er Frauen bei der Verteilung von Rechten. Ein gutes Beispiel dafür wäre das Sorgerecht für Kinder, wobei Feministen dies als das alleinige Recht der Mutter sahen (und sehen). Obwohl Feministen die traditionellen Mutter- und Vaterrollen kritisieren, obwohl sie wollen, dass Männer sich an der Kindererziehung und psychische Fürsorge für Kinder beteiligen, obwohl sie fordern, dass Frauen sich von ihrer traditionellen Mutterrolle verabschieden, können sie in Wirklichkeit ihre eigenen Forderungen nicht akzeptieren. Sie sind nicht bereit, die traditionelle Mutterrolle aufzugeben und ihre erkämpften “Rechte” mit Männern zu teilen.

Am Beispiel des Sorgerechts wird auch klar, dass Feministen die Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht und Gender selber nicht wahrhaben. Wenn man, um Kinder erziehen zu dürfen, „weibliche“ Eigenschaften haben müsste, dann gibt es genug Männer, die liebevoll und fürsorglich sind und genug Frauen, die sich einen Dreck um ihre Kinder kümmern. Das Sorgerecht allein den Frauen zuzuschreiben, bedeutet, dass man „weibliche“ Eigenschaften dem biologischen Geschlecht der Frau zuordnet und glaubt, ein Mann könne nie Kinder so gut versorgen wie eine Frau.

Die Selbstkonflikte des Feminismus haben dazu geführt, dass er in Europa als eine gesellschaftliche Massenbewegung untergegangen ist. Wenn heute in vielen europäischen Ländern die staatlichen Zuschüsse für feministische Organisationen gestrichen werden, darf man daraus nicht schlussfolgern, dass der Staat sich nicht mehr für Frauenrechte interessiert. Dieser Zustand basiert allein auf der Tatsache, dass im Europa der aktivistische Feminismus nichts mehr zu bieten hat. Eine Bewegung, die sich im Europa des 21. Jahrhunderts über die Wiedereinführung der Geschlechtertrennung in Schulen Gedanken macht, kann gewiss nicht mit der breiten Unterstützung der Gesellschaft, besonders die der jüngeren Generationen, rechnen.


Juni 2014
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